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Der Hund im Steinbecker Holz
Eine Sage aus Lippe, nacherzählt von Robert Lanius aus Mainz

Es mag um das Jahr 1860 herum gewesen sein, etwa im Monat Oktober, wo es schon früh am Nachmittag dämmrig wird. Der alte Fuhrmann Herrn Frodermann aus Bad Salzuflen hatte eine Fuhre Salz nach Vlotho gefahren. Mit dem Entladen seines Planwagens war er erst am späten Nachmittag fertig geworden, denn die Schauerleute an den Lastkähnen auf der Weser hatten sich nicht sonderlich beeilt.
Als er sich mit seinen schweren Gäulen und dem rumpelnden leeren Wagen auf den Heimweg machte, trieb der Wind Regenböen und Schlossen vor sich her. Da würde er gewiß in die Dunkelheit hineinkommen, ging es Frodermann durch den Kopf. Das war nicht sehr angenehm, denn die Wege waren schlecht und ausgewaschen.- Aber er musste nach Salzuflen zurück. Seine Frau lag schon einige Tage darnieder, und das Vieh daheim musste versorgt werden.
Frodermann ließ die Gäule tüchtig ausgreifen. Nach zweistündiger Fahrt sah er zu seiner Rechten den Hollenhagen auftauchen. Um die Erlen an der Vinnenbecke wob bereits die Dämmerung, und in den Salzewiesen an der Loose brodelten milchige Nebel.
Aus dem Dunst tauchte plötzlich ein Wanderer auf, der wie Frodermann der Stadt Bad Salzuflen zustrebte. Ein langer Mantel schlotterte um die dürre Gestalt. Mit einem kurzen, mürrischen Wink bat der Mann, hinten auf dem Wagen aufsitzen zu dürfen. Frodermann nickte. Es war immerhin noch eine gute Wegestunde bis zur Stadt, und den Pferden würde es nichts ausmachen.
Der Fuhrmann trieb die Gäule wieder an. Der schwere Wagen rumpelte über Steine und durch ausgewaschene Rinnen weiter. Bei jedem Stoß brummte der Fremde unwillig vor sich hin. Sein Murren und Knurren wurde von Meile zu Meile lauter, bis er sich mit häßlichen Verwünschungen auf Wetter und Wege Luft zu machen versuchte.
Inzwischen war der Regen stärker geworden. Er klatschte an die Wagenplane. Der Wind rüttelte in den Bäumen und schüttelte körbeweis das dürre Laub aus den Kronen. Als der Wagen in den Hohlweg oberhalb der Waldemeine einbog, war die Dunkelheit so tief herabgesunken, daß vom Wege kaum noch etwas zu erkennen war. Zur Rechten tauchte schemenhaft der Wartturm aus dem Dunst. Auf der Höhe packte sie der Wind und heulte und pfiff durch Speichen und Plane.

Der Hohlweg im Steinbecker Holz durch den die Salzkarren von Salzuflen nach Vlotho fuhren.
Rechts die Abzweigung nach Wüsten.

Der Fremde hinten auf dem Rücksitz stöhnte und fluchte mehr als zuvor. Der alte Frodermann zog die Zügel straffer und duckte sich fester hinter die Plane. Hier kam eine Wegstrecke, die den Salzufler Fuhrleuten und Salzkärnern nicht geheuer war. Am Wartturm sollten seit alten Tagen böse Kobolde ihr unheimliches Wesen treiben. Es war besser, man mied diese Strecke in der Dämmerung.
 

Der Stumpfe Turm, der alte Wachtturm
im Steinbecker Forst.

Frodermann schreckte plötzlich zusammen. Klang nicht Kettengerassel von dort unten aus der Niederung herauf? Heulte vom Schloß her nicht ein Hund durch die Nacht?

Den Fuhrmann überlief es eiskalt. Vor kurzer Zeit erst hatte man in Schröders Krug vom großen Hund im Steinbecker Holz erzählt. Auch hatte man von einer beinernen Gespensterhand zu berichten gewußt.
Frodermann trieb die Pferde zu schnellerem Zuge an. Der Wagen rumpelte über Wurzeln und Steine vorwärts. Hinten auf dem Rücksitz fluchte der Fremde immer gräßlicher. Der alte Fuhrmann blickte zum Vierenberg hinüber. Dort wallte dichter Nebel in dicken Schwaden.
Frodermanns Blick erstarrte.
Narrte ihn ein Spuk? Aus der Nebelwand griff eine Knochenhand heraus. Ganz deutlich sah er die langen, dürren Finger.

Das klagende Geheul des Hundes schlug wieder an sein Ohr – viel näher als zuvor.

Das Rasseln der Kette war jetzt ganz nahe hinter dem Wagen. Frodermann griff entsetzt zur Peitsche und schlug auf die Gäule ein. Nur schnell fort vom Turm. Der große Hund war los!

Das Gebell war nun ganz nahe hinter dem Wagen. Das Kettengerassel, die Flüche des Fremden, des Windes Stöhnen, Hundegebell und das ängstliche Schnauben der Pferde vereinigten sich zu einem höllischen Konzert. Um den Wagen herum tobte es wie die wilde Jagd. – Da brauste es an ihm vorüber. Frodermann glaubtge einen Menschen zu erkennen, auf dessen Nacken ein riesiger schwarzer Hund hockte, der eine Kette hinter sich her schleppte. Heulend, stöhnen und fluchend rannte der Mensch mit dem Tier im Nacken den Hohlweg entlang. Dunkelheit und Unterholz verschlangen dann beide. Da hatte Frodermann endlich den Waldrand erreicht.
Das höllische Konzert blieb hinter ihm zrück und verklang mehr und mehr. Der Fuhrmann atmete auf. Von Salzuflen heraus blinkten friedlich die Lichter der Häuser.
Frodermann sah sich nach seinem Fahrgast um. Doch der war verschwunden…

Quellen: Erstveröffentlichung in Heimatland Lippe. Zeitschrift des Lippischen Heimatbundes und des Landesverbandes Lippe. 75. Jahrgang, Nr. 9, September 1982, S. 283-284.