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Dorf in der Wüste
von Dr. August Meier-Böke

Oberwüsten Nr. 37. Kleine Leibzucht mit Vor- und Anklapp.

Von "Butter" und "Bumbamwegen" und "Hexenstraßen" – "Jeude drüdde Frubbe ne Hexe" – Kunterbunt der Kolonate – Alt-Wüstener Erkenntnisse

     Wie dringe ich in sie ein? Über den "Boddernweg", den die "Wüstenbewohnerinnen" einst mit der frischen Landbutter der Badestadt zugeschuckschackt sind? Auf der "Luienstrate", dem "Bumbamweg", auf dem sie, bis 1625, die Leichen nach der "Wüstener Ecke" in Schötmar getragen oder gefahren, von den Kiliansglocken beläutet, "bebumbamt"? Oder die "Lange Strote" übern Hollenstein, einen der Anfahrwege der Salinenfuhrwerker?
     Vom Salzsumpf in der Loose (wo ich auf pflanzliche Seltenheiten, Milch- und Löffelkraut, Erdbeerklee und sonstwie "Halogene" ausgewe-sen) steige ich nach der Krutheide hinan. Hier, am Salzehang und aud der Höhe, stehen die älteren Fachwerke von 1605 (37), 1609 (47) und der Vierständer von Nr. 29, den "Witwer Krudemeier am 15. Mai 1662 durch Mester Henrich im Busche" richten ließ. In der "Waldmeine", "oben" wie "unten", beiderseits des Sieks um den Windmühlenstumpf herum, heben sich die Fachwerke der Begemann, Bokemeier, Altrogge und Exter, letzterer mit Stichbalkenmaske und profilierten Knaggen, Köttervierständer und Kleinleibzuchten, balkengezimmert bis zur Jahrhundertwende hinan. Auf Nr. 22 bei der Kirche lese ich unter der Gesichtsmaske: "Joh. Hinrich Wüstenbecker 1821", den gleichen Namen am Speicherhaus von 1846 daneben noch einmal. Schon 1590 wird ein "Johann uffer Woistenbeeke" beurkundet. Sicher einer der ersten, die in dem (wegen der Entfernung) kaum bewirtschafteten und besonders durch die Salzsieder-einschläge im 16. Jh. verwüsteten Walde der Herren von Vornholte siedelten. An der Beeke, nach der man ihn nannte, und die, vierenbergentlang, mit ihren Nebenbächen, das siedlerische Rückgrat der "Wüste" überhaupt wurde. Ich gebe Pastor Böke Recht (der 1922 noch ein Gefüge, Erdsiek Nr. 37, von 1583, 6 aus dem 17., 18 aus dem 18. und 28 aus dem 19. Jh. ermittelte), wenn er meint, die älteren Annozahlen seien meist auch zugleich die Gründungsjahre der betreffenden Kolonate. Hier um die Kirche herum, unterm "Langenberg", im "Alten Dorf", "Kätchenort" und dem "Krukenplass" setzten die ersten sich an, ein gewisser "Heinrich" in den "Stuten" (Stauden), der "Stutenheinrich". Die Eheleute Scheiper und Ties (Leibzucht von 1689 am Langenberg), die Schuckmann und Decker, Tölle und Ellermeier, Fetkötter und Wiggenbröker, Groteguth und Kehde, Schemmel und Deppe. Die Hempelmann, Boberg, Pauk, Schuding, Sturhahn, Steinmeier usw., usw. Einer von Hiltern bei Bentheim. War ein lustig Roden und Reuten ("Großes" und "Kleines Rott", "Gastrott"), Hacken und Hauen ("Hobbe", dreimal "Höwe", "Haufeld"), Broddeln und Brennen ("Up'n Branne", "Askamp"). Es gibt noch je einen "Holz-, Loh-, Birken-, Farren- und Heidkamp", ein "Kuhlen- und Fretholz", "Ellern-, Erft- und Wiggensiek", eine "Hümmernkenrikte", "Himmelreich" und "Palmenort". 1790 gab es bereits 121 "Feuerstellen".

Das alte Schuttenmeier'sche Haus von 1798,
Unterwüsten Nr. 45, unten auf der Krutheide nahe der Loose.

     Winter 1946 war ich oben an der Salzufler Schnat. Buschmeier hatte mir erzählt, die Bäuerin da beschwöre die Füchse mit zwei Pottdeckeln, die sie, um Haus und Acker kreisend, zusammen-schlage, und mit unverständlichen Worten. Als ich sie nach den Füchsen fragte, lachte sie und sagte: "Dat stimmt, un eck reope dorboi jümmer Voss! Voss! Voss! Dat helpt denn för förteggen Dage, auk gegen de beisen Woiwer. Affwinken helpt auk." Sie erzählt mir von ihrem "Franzosen", dem Kriegsge-fangenen, der 1944/45 die Feindflieger "abgewinkt". "Dor sind seu füdderbrummt un hät de Bomben wiederhen anne Weser affschmieten." Auf den Zickzackwegen, die ich durch das "Nigge Dörp" nach dem Giershagen und zum Boberg hiantnehme, sind sie wieder bei mir, die Dutzend Geschichten von der "Hexenstrate" (Padweg beim Uphof), den Kreuzwegen bei der Kirche, Hetland und der "Langenstaße", wo sie die verhexte "Blaue Milch" abgestellt; Geschichten von "schwer zu kriegender Butter" (wo der schuldig war, der kam, um etwas zu entleihen, "leinen" wollte; was zu viel Feindschaft geführt); Geschichten von solchen, die Fuhrwerke, Diebe und fensterlnde Burschen, die zu ihren "niepen" Töchtern gewollt, haben "stehen lassen", den drei lösenden Deichselschlägen und Sprüchen (ich habe Fritz Prante versprochen, sie nicht weiterzusagen); Namen derer die "mehr gekonnt". Gläubigkeit, Kopfschütteln, Erkenntnisse des tieferen Zusammenhangs. Wie sagte doch die 78erin, die zwei Ehemänner zu Grabe getragen und fröhlich dem Tag entgegenwartete, wo sie sie "dorbombt" beide an die Hände nehmen würde, an jede einen? Sie würde zu ihrem Herrgott sagen: "De Minsken sägget jümmer, die Toien wörten slimmer. Die Toien werd nich slimmer, de Minsken werd et jümmer. Sui barmherzig met us Sünnern!"


Quellen: Meier-Böke, August: Dorf in der Wüste. In Lippischer Landeszeitung. 189. Jahrgang, Nr. 36 vom 12. Februar 1955.
  Dank an Herrn Rolf Meierkord für das Foto von Nüllmeiers Hof, Oberwüsten Nr. 37.
  Postkarte aus den 1920er Jahren mit dem alten Schuttenmeier'schen Haus, Unterwüsten Nr. 45.